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Gute Reise

22 Geschichten von Hans Seilnacht

Insgesamt 22 Erzählungen sind nur eine kleine Auswahl der vielen Erlebnisse, die Hans Seilnacht als Reisebüropionier, Firmengründer und Reisebegleiter bei unzähligen Vereins-, Betriebs- und Studienreisen hatte. In seinem Buch "Gute Reise" hat er diese wahren Geschichten im Jahr 1983 zusammengetragen.

Als begeisterter Hobby-Maler war er stets der Auffassung, dass Kunst und Reisen zu einer besseren Völkerverständigung beitragen können. "Wir haben die große und wunderbare Aufgabe, unseren Mitmenschen die Augen zu öffnen für die wunderbaren Dinge des Lebens, damit das Reisen für alle ein echtes Erlebnis wird."

Wir erinnern in diesen aussergewöhnlichen Zeiten gerne an die wunderbaren Geschichten und wünschen euch viel Spass beim Lesen.

 

Euer Reisebüro Seilnacht - Wir sind für euch da!

    LKW-Sitzplatz begehrt

    Nach Kriegsende hatte unsere Stadt französische Besatzung – meistens Marokkaner und Algerier. Die Bevölkerung durfte den Stadtbezirk nur mit einem Passierschein, einem sogenannten Laissez-Passer, verlassen. Diese Scheine mussten von der französischen Behörde genehmigt werden. Natürlich mussten die Anträge in französischer Sprache eingereicht werden. Es war nicht viel zu übersetzen – meistens nur der Beruf und der Grund der Ausreise aus dem Stadtbezirk. Das war für uns kein Problem und so bekamen wir eine Aufgabe, die uns wenigstens die allernötigsten Kosten ersetzte, denn wir durften pro Antrag RM 1,– verlangen.

    Das Reisegeschäft lag völlig darnieder. Es fuhr kein Zug und kein Bus und einen Fahrplan gab es auch noch nicht. Als die ersten Bummelzüge auf der Strecke Lörrach-Freiburg verkehrten, ließen wir uns von den Reisenden die Fahrzeiten geben und stellten so mit der Zeit einen eigenen Fahrplan als Notbehelf zusammen. Bei der Kreisverwaltung arbeitete ein Freund von mir. Er musste sich um die Beschaffung von Nahrungsmitteln und Grundstoffen für die Industrie kümmern. Ein- bis zweimal in der Woche fuhr in seinem Auftrag ein Lastwagen auf der Strecke Donautal – Ulm – Augsburg – nach München. Da er auf der Hinfahrt meistens keine Fracht hatte, richteten wir einen Lkw-Personenverkehr ein. Diese Fahrten waren von allen Schichten der Bevölkerung sehr gefragt. Das Fahren war natürlich nicht komfortabel, denn die Reisenden mussten sich mit harten Holzbänken begnügen – aber für verhältnismäßig wenig Geld kamen sie schnell ans Ziel.Für die Rückfahrt mussten sie mit wenigen Ausnahmen, selbst sorgen. Für diese Fahrten druckten wir besondere Ausweise mit dem Vermerk "Fahrt auf eigenes Risiko". Die Linie funktionierte recht gut, bis die ersten Verbindungen der Bundesbahn in Richtung Freiburg und über Lindau nach München zustande kamen.

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    Ein Lörracher Businternehmer besaß noch einen alten Bus, der vorwiedend zum Abholen der Milch auf dem Lande eingesetzt wurde.

    Mit diesem Vehikel machten wir die ersten Reisen ins Hinterland und in den südlichen Schwarzwald. Auf langen Holzbänken saßen die Fahrtteilnehmer, hart und unbequem – aber wir fuhren! Wer mag sich heute noch gerne an jene Zeit erinnern, wo doch jetzt das Reisen mit Bahn, Bus und Flugzeug so bequem ist, wo TEE- und IC - Züge durch die Lande rasen, wo modernste Busse mit Liegesitzen und WC auf Autobahnen Hunderte von Kilometern pro Tag zurücklegen können, und wo Flugzeuge in nur wenigen Stunden die Passagiere von einem Kontinent zum anderen befördern.

    Eifersucht im Gesellschaftswagen

    Die Deutsche Bundesbahn hatte sich nach dem Krieg etwas einfallen lassen. Sie entwickelte einen Gesellschafts- oder Tanzwagen für Sonderzüge mit größeren Gruppen. Der Bodensee war das Ziel einer frohen Reisegruppe von etwa 400 Personen, und der Sonderzug führte zum ersten Male einen Tanzwagen mit. Das war natürlich eine Gaudi, zumal bei Betriebsausflügen nach dem Krieg jedes besondere Erlebnis dankbar und mit Freude aufgenommen wurde. In Konstanz gab es ein gemeinsames Mittagessen, auch das war eine Überraschung und wurde noch nicht als Selbstverständlichkeit aufgenommen. Der Nachmittag war ganz zur freien Verfügung. Man teilte sich in kleine Gruppen auf. Die einen fuhren zur Insel Mainau, andere bummelten in der Stadt, wieder andere machten eine Seefahrt oder ruderten im See. Froh gelaunt kamen die Mitreisenden am Abend pünktlich zur Abfahrt des Sonderzuges.

    Als der Sonderzug sich in Richtung Heimat in Bewegung setzte, war der Tanzwagen bereits knallvoll und bei heißen Rhythmen wurde feste getanzt. Es herrschte im Tanzwagen eine drückende Schwüle. Die Musik – es wurden Schallplatten gespielt – machte eine Pause zum Verschnaufen, denn es wurde ununterbrochen getanzt. Während dieser Pause entstand plötzlich ein Tumult und ein Mann zog eine Frau an den Haaren über die Tanzfläche und durch die Menschenmenge, hob sie dann hoch und wollte sie zum offenen Fenster hinauswerfen.

    Mein Kollege von der Bundesbahn und ich hielten ihn gerade noch davon ab. Wir hatten viel Mühe, denn der Kerl war wie besessen und hatte in seiner Wut eine unbändige Kraft. Bei unserem Kampf biss er meinen Freund durch den Kittel in den Oberarm. Endlich brachten wir ihn zu uns in das Reiseleiterabteil, wo wir ihn beruhigen konnten. Beim Aussteigen am Heimatbahnhof bemühten sich einige Betriebsräte der Firma um den zornigen Burschen.

    Wie wir von einigen Mitreisenden hörten, war der Mann eifersüchtig auf seine Frau, weil sie mit einem Betriebskollegen tanzte. Solche Zwischenfälle können üble Folgen haben.

    Die Reise-Gepäckversicherung

    Nach dem zweiten Weltkrieg war der Hunger der Deutschen nach Reisen enorm, und bald öffneten sich auch wieder die Grenzen zum Ausland. Die Schweiz, Österreich und Italien erfreuten sich großer Beliebtheit. Mit dem Reisen ins Ausland tauchten auch gewisse Probleme auf. So erlebte ich immer wieder, dass gewisse kostbare Schmuckstücke abhandenkamen. Wir veranlassten in verstärktem Maße unsere Expedienten, den Kunden vor der Auslandsreise den Abschluss einer Gepäckversicherung zu empfehlen. Im Allgemeinen kamen die abhandengekommenen oder verlorenen Wertgegenstände nie mehr zum Vorschein.

    Ein schüchternes Hochzeitspärchen buchte bei uns ihre Reise nach Florenz und Rom. Wir stellten den jungen Leuten eine Einzelpauschalreise mit allem Drum und Dran zusammen und machten auch auf den Abschluss einer Reisegepäckversicherung aufmerksam. Das mit der Gepäckversicherung leuchtete den jungen Leuten nicht ein, sie wollten das miteinander besprechen, meinte der Hochzeiter. Wir machten die Reiseunterlagen fertig, und nach etwa einer Woche wurden sie abgeholt. Von einer Gepäckversicherung wurde nicht mehr gesprochen.

    Zwei Tage vor der Abreise kamen die beiden jungen Leute nochmals zu uns ins Büro – und zwar schwer beladen mit zwei Koffern und einer Reisetasche. Nun, was sollte das sein? Der junge Mann meinte, sie hätten die Koffer gepackt und möchten nun eine Versicherung abschließen.

    Das Lachen stand uns allen im Büro auf den Lippen. Zwei von uns verschwanden in die hinteren Gemächer, um ihr Lachen loszuwerden. Ich befasste mich persönlich mit den beiden jungen Leuten und erklärte ihnen, dass sie sich viel zu viel Mühe gemacht hätten, die Versicherung könnten wir auch ohne Gepäckvorlage abschließen.

    Reisen musste nach dem Krieg wieder gelernt werden. So erlebten wir in unserem Büro besonders bei Auslandsreisen manch lustiges Episödchen.

    Ich wünschte dem jungen Paar eine gute Reise und viel Spaß und bat, trotz Versicherung, auf das Gepäck, besonders auf Schmuck und Fotoapparat, gut aufzupassen.

    Hilfsbereit in der Tschecheslowakei

    Anfang der 60er Jahre fuhr ich mit etwa 25 Leitern Deutscher Reisebüros in einem Bus der Deutschen Touring Gesellschaft in die Tschechoslowakei. Wir wollten den Reisemarkt drüben kennenlernen. In Pilsen beeindruckte uns die weltberühmte Brauerei, von wo das gute Pilsner Bier in alle Welt geht. Eine ganze Batterie Flaschenbier bekamen wir mit auf den Weg zur Hauptstadt Prag. Unterwegs zeigte sich bei den Teilnehmern eine gewisse Unruhe, die einen klagten über Kopfweh, andere über Fieber. Als wir in Prag ankamen, waren einige Teilnehmer krank. Ich teilte das Doppelzimmer – wir waren gut untergebracht und das Essen schmeckte vorzüglich – mit einem Kollegen aus dem norddeutschen Raum. Gegen Mitternacht klagte mein Kollege über Kopfweh und Fieber. Tatsächlich war er ganz verschwitzt und hatte einen heißen Kopf.

    Ich wechselte mehrmals seinen Schlafanzug, doch gegen ein Uhr in der Nacht meldete ich den Zustand der Rezeption – da gingen bereits andere Klagen ein, und es wurde sofort ein Arzt gerufen. Bald stellte sich heraus, dass fast ein Dutzend der Kollegen an Grippe erkrankt war und die Weiterreise nach Brünn nicht antreten konnte. Auf dem Rückweg – nach drei Tagen – holten wir die Patienten ab. Eines stand fest, der Arzt hatte sich mitten in der Nacht rührend um unsere Kranken bemüht.

    In Brünn waren wir sehr enttäuscht – nach einbrechender Dunkelheit war kein Licht zu sehen.

    Es wurde mit der Straßenund Schaufensterbeleuchtung gespart. Leuchtreklamen gab es gar nicht. Die Schaufenster stellten mehr tote Fliegen aus als Ware. Es war ein trostloses Bild.

    Beim Abendessen bekam ein Kollege aus Hamburg fürchterliche Zahnschmerzen. Sofort bemühte sich eine Dolmetscherin und brachte ihn zu einem Zahnarzt. Es war bereits gegen 22.00 Uhr! Im Wartezimmer standen Menschen Schlange. Unser Kollege wurde sofort behandelt und konnte am nächsten Tag mitfahren – ohne Schmerzen.

    Uns alle hat die außerordentliche Hilfsbereitschaft sehr beeindruckt, selbst wenn diese Bereitschaft als eine Werbung für das System der sozialistischen Staaten zu bewerten wäre.

    (c) Copyright für alle Texte, Bilder und Erzählungen liegen bei der Reisebüro Seilnacht GmbH

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